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Das Un-, der Eros und der Andere

Heute ist mir bei der Lektüre von Byung-Chul Han’s „Agonie des Eros“[1] eine Stelle untergekommen, die sich direkt auf das Phänomen des Undings bezieht, dem die schöne Idee eures Blogs gewidmet ist. Sie lautet so:

„Heute kann allein eine Apokalypse uns aus der Hölle des Gleichen zum Anderen hin befreien, ja erlösen. So beginnt Lars von Triers Film Melancholia mit der Ankündigung eines apokalyptischen, desaströsen Ereignisses. Desaster heißt wörtlich Unstern (lat. des-astrum). Am nächtlichen Himmel auf dem Anwesen ihrer Schwester entdeckt Justine einen rötlich schimmernden Stern, der sich später als ein Unstern erweist. Melancholia ist ein desastrum, mit dem das ganze Unheil seinen Lauf nimmt. Es ist aber ein Negativ, von dem eine heilende, läuternde Wirkung ausgeht. Melancholia ist insofern ein paradoxer Name, als der Planet gerade eine Heilung von der Depression als einer besonderen Form der Melancholie herbeiführt. Er manifestiert sich als der atopische Andere, der Justine aus dem narzisstischen Sumpf herausreißt. So blüht sie angesichts des todbringenden Planeten förmlich auf.“[2]

Byung-Chul Han widmet das Kapitel, dem diese Stelle entnommen ist, dem Verschwinden des Anderen in unserer Gesellschaft. Er setzt darin einer Welt, in der alles zunehmend zu einer narzisstisch konsumierbaren Hölle des Gleichen wird, den Eros entgegen, der gerade auf die Exteriorität des Anderen zielt,

„der sich ins Regime des Ich nicht einholen lässt“: „Der Andere, den ich begehre, ist ortlos. Er entzieht sich der Sprache des Gleichen: ‚Als atopos lässt der Andere die Sprache erbeben: man kann nicht von ihm, über ihn sprechen; jedes Attribut ist falsch, schmerzhaft, taktlos, peinlich…‘(Zitat Roland Barthes) [3].“

Das Un- (des Unheimlichen, des Unbewussten) ist Kennzeichen dieser Atopie, es ist der Partikel, der die unbegreifliche Dimension des Anderen in unserer Erfahrung wieder aufleuchten lässt. Gerade in seiner Unfassbarkeit wird er zum untrüglichen Boten des Eros.

(Das Auftauchen des Unsterns ist es z.B. auch, der nach Lars von Trier die Depression zur Melancholie werden lässt: Denn während die Depression dadurch gekennzeichnet ist, dass sie den Anderen ausschließt, nimmt er in den Apokalypsen der Melancholie den ihm verweigerten Platz wieder ein – und lässt sie so zu einer heilsamen Erfahrung werden. Und, was dabei noch wichtig ist: um in eine gesättigte, in sich abgeschlossene Welt die Dimension dieses Un- wieder einzuführen, bedarf es eines Desasters, d.h. des Zulassens einer Erfahrung, derer wir nicht mehr Herr sind und die uns buchstäblich, ohne unser Zutun und oft sogar gegen unseren Willen, „aus unserem narzisstischen Sumpf herausreißt“. Das Un- wäre eben nichts anderes, als das heilsame Zeichen des Auftauchens des Anderen.)

Georg Gröller 2019-09-13

 

[1] Han, Byung-Chul: Agonie des Eros. Berlin: Matthes & Seitz 20154

[2] ebd., S 8f

[3] Barthes, Roland: Die helle Kammer, Frankfurt/M 1985, S 45 zit. n. Han, Byung-Chul: a.a.O., S 6

 

 

 

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