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DAS UN- OHNE DING

Beim Unheimlichen, beim Unguten, beim Unschönen, Unanständigen oder Unmenschlichen scheinen die Dinge noch einigermaßen klar: das Un- verneint etwas selbständig Existierendes – etwas, das es vorher, ohne das Un-, auch schon gab: das Heimliche, Gute, Schöne, Anständige, Menschliche.

Nicht immer aber steht das Un-vor etwas Selbständigem. Es gibt zum Beispiel den Unhold – aber den Hold hat vorher noch niemand gesehen.

Im Fussball gibt es ein Unentschieden. Man kann aber nicht von einem Entschieden sprechen.

In analoger Weise bemerkte Demokrit, dass das griechische Wort für Nichts („meden“) etwas verneint, das es zuvor nicht als etwas Selbständiges gab. Das nicht-Nichts kann nur mit dem Kunstwort „den“ bezeichnet werden.

Der „lachende Philosoph“ (wie er auch genannt wurde) schrieb darum mehrdeutig:

„Das Nichts existiert ebensogut als das Ichts“.[1]

Jacques Lacan hat diese Pointe der Formulierung bei Demokrit erkannt und sie in Beziehung zu den Begriffen tyche (Aristoteles) und clinamen (Epikur) gesetzt:

“… tyche brings us back to the same point at which pre-Socratic philosophy sought to motivate the world itself. It required a clinamen, an inclination, at some point. When Democritus tried to designate it, presenting himself as already the adversary of a pure function of negativity in order to introduce thought into it, he says, It is not the meden [non-being] that is essential, and adds … it is not a meden, but a den, which, in Greek is a coined word. He did not say hen [one] let alone on [being]. What, then, did he say? He said, answering the question I asked today, that of idealism, Nothing, perhaps? – not perhaps nothing, but not nothing.”[2]

 

Demokrit spricht also nicht einfach geradeaus vom Sein. Sondern vielmehr von einem nicht-Nichts.

Es ist etwas, das (wenigstens logisch) erst vom Nichts abgezogen werden muss; dem Nichts muss man die verneinende Vorsilbe (me-) wegnehmen, damit man zu diesem Sein gelangt. Dieses Sein ist also, wie Slavoj Zizek pointiert formuliert, „weniger als nichts“.[3]

 

 

Robert Pfaller 2019-08-26

 

[1] Siehe Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. 2. Band, Berlin 41922, S. 57-62.

Vgl. https://www.textlog.de/6314.html

[2] Jacques Lacan: The Four Fundamental Concepts of Psychoanalysis, transl. Alan Sheridan, London: Penguin 1979: 63f.

[3] Slavoj Zizek: Less than Nothing. Hegel and the Shadow of Dialectical Materialism, London/New York: Verso, 2012.

 

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